Notizen |
- Johannes Gienger:
Es war großes Glück im Unglück, dass die Vorfahren den Krieg überhaupt überlebt hatten. Michael Gienger heiratete am 13.11.1599 Anna Hanig und am 6.2.1621 in zweiter Ehe Margreta Sigler. Von den zwischen 1603 und 1633 in beiden Ehen geborenen 12 Kindern erlebt keines das Ende des Dreißigjährigen Krieges (OSB Neidlingen, S. 196). Auch die Eltern erlebten das Ende des Krieges nicht. Der Sohn Michael (*1621) aus der ersten Ehe erreichte zwar als einziges Kind noch das heiratsfähige Alter und ehelichte 1642 Anna Beyrer. Von dem frisch vermählten Paar und dem einzigen gemeinsamen Kind gibt es nach 1648 keine Informationen mehr. Von den drei Kindern von Alban Gienger (*1590), vermutlich der jüngere Halbbruder von Michael und Ehefrau Dorothea Eulenmann (*1596) (Heirat 27.8.1616 in Weilheim u.T.) überlebte nur Johannes oder Hans Gienger (*1617). Zu den Geschwistern Barbara (*1619) und Alban (*1622) gibt es keine Informationen. Der Vater Alban war bereits 1626 (Rothacker) gestorben. Allein der Umstand, dass keinerlei Angaben sonst zu Todeszeitpunkt und den Umständen in den Kirchenbüchern verzeichnet wurden, spricht dafür, dass die ganze Sippe bis auf den erwähnten Johannes *1617 in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges ums Leben kam. Auch die Mutter des einzigen Überlebenden Dorothea Eulenmann überlebte Krieg nicht und starb im Katastrophenjahr 1635 (Rothhacker). Möglicherweise wurde sie Opfer der Gewaltorgie katholischer Truppen nach der Schlacht von Nördlingen 1634/35. Möglicherweise fiel sie wie vermutlich die vielen anderen Verwandten auch durch Hunger geschwächt den grassierenden Krankheiten wie Typhus, Cholera und Pest zum Opfer. Der am 26. Oktober 1617 ein Jahr vor Kriegsausbruch geborene Sohn Hans oder Johannes Gienger wuchs nach dem frühen Tode des Vaters zunächst bei der Mutter und oder bei der Verwandtschaft andernorts auf und überlebte das ganze Inferno des Dreißigjährigen Krieges, das nach 1634 in der ganzen Brutalität über Neidlingen hereingebrochen war. Damals 17-jährig machte er sich wohl rechtzeitig aus dem Staub und versteckte sich vielleicht zeitweilig in der Heimensteiner Höhle, wie dies der Ortschronist Drüppel bei Gefahr für viele Neidlinger vermutet. Bei Durchmarsch von Landsknechten konnte man sich tatsächlich zeitweilig in den Wäldern am Albrand verstecken. Im Falle längerfristiger Einquartierung von Truppen war ein Versteck im Wald keine Option. Man konnte versuchen, sich mit den Besatzern zu arrangieren oder besser hinter den Mauern von befestigten weniger betroffenen Ortschaften in der Nähe wie z.B. Weilheim oder besser Kirchheim Unterschlupf suchen, zumal die Kirchheimer 1634 eine Besetzung und Plünderung des Ortes durch das anrückende Buttler‘sche Dragonerregiment mit einer Zahlung von 2000 Gulden abwenden konnten. In zwei drei Stunden Fußmarsch konnte man Kirchheim von Neidlingen aus erreichen. Zumindest wäre man dort hinter der Stadtmauer vor marodierenden Landsknechtbanden sicher gewesen. Der schwäbische Schuhmacher Hans Heberle, der einen der wenigen Augenzeugenberichte aus jener Zeit der Nachwelt hinterließ, flüchtete von seinem Dorf dreißigmal in das 17 Kilometer Luftlinie entfernte Ulm und überlebte (Pantle S. 156). Flucht war im Kriegsfall damals wie heute eine Möglichkeit der Brutalität der Soldateska zu entkommen. Jedenfalls überlebte auch der direkte Vorfahre Johannes Gienger (*1617) Hunger, Pest und Gewalt, und falls er auf der Flucht gewesen war, kehrte er 1640 nach Neidlingen zurück. Offensichtlich herrschte zu der Zeit dank des neuen katholischen Ortsherrn Bartholomäus von Richel „von und zu Neidlingen“ und dessen Vogt Franziskus Hannecart eine gewisse Stabilität, so dass auch andere bekannte Neidlinger Familien jetzt wieder im Ort nachweisbar sind (Höflinger, Frasch, Drechsler, Gölz …). Der Ortsherr befahl bei Androhung von Strafe die Beschaffung von Pferden für die Feldarbeit, und bewaffnete Wachen sollten das Dorf vor Übergriffen schützen. Selbst der Schulbetrieb wurde 1641 wieder aufgenommen und Schüler zum regelmäßigen Schulbesuch gedrängt. Der Wiederaufbau konnte in Angriff genommen werden.
Über Johannes Gienger erfahren wir aus dem Neidlinger Eheregister von seiner Heirat mit Datum 24.6.1640: Hans Gienger, Alban Giengers hünderlassener ehelicher Sohn und Anna Maria ……..Johannes Ulrich Holppens ……..hünderlassene eheliche Tochter. Trotz damaliger katholischer Ortsherrschaft heiratete Hans anders als die eigenen katholischen Vorfahren fest im lutherischen Glauben die evangelische Anna Maria noch mitten im Krieg. So ganz strikt war die katholische Ortsherrschaft in religiösen Fragen wohl nicht, zumal bei der Geburt des ersten Kindes 1641 Katharina Hannekart, die Ehefrau des katholischen Vogts, als Taufpatin im Kirchenregister erscheint. Die Neidlinger durften auch dank der Fürbitte des Herzogs von Württemberg evangelisch bleiben, ein Zugeständnis der Obrigkeit, das für ein verträgliches Miteinander von Herrschaft und Untertanen im Dorf durchaus förderlich war. Auch der direkte Vorfahr der nächsten Generation wurde evangelisch getauft: Am 21.9.1646 wird geboren Hanß. Hanß (*1646) ist das vierte Kind von zehn. Die Eltern laut Geburtsregister sind Hanß Gienger und Anna Maria, Tochter des evangelischen Pfarrers in Neidlingen Johann Ulrich Holpp (1571-1628) aus der zweiten Ehe mit Ursula Christina Haan aus Kirchheim. Pfarrer Holpp (*1571) stammte aus Murrhardt und hatte die Pfarrerstelle in Neidlingen 1596 übernommen. Holpp wird beschrieben als „besonnener, fleissiger, menschenfreundlicher Mann, der 33 Jahre lang bis zu seinem Tod Jan. 1629 das Amt führte. ... Ihm verdankt die Gemeinde die Grundlegung im evangelischen Glauben, die sich im Dreißigjährigen Krieg bewährte." (Internetseite Württembergische Kirchengeschichte Online) Pfarrer Holpp hatte – so die Information des Ortschronisten – durch ein positives Gutachten (ca. 1604) mit dazu beigetragen, dass der von der Kirchheimer Ortsherrschaft der Hexerei verdächtigte Hanns Vogel nicht angeklagt wurde, anders als dessen Vater Jakob Vogel, der 1590 als „Hexer“ hingerichtet worden war. Mit dem wenn auch verstorbenen einflussreichen Schwiegervater hatte Johannes (*1617) wohl Glück. Nach dem Krieg 1648/49 wurde Neidlingen wieder ein Bestandteil des Herzogtums Württemberg und blieb damit evangelisch. Spätestens jetzt mit der Heirat der Tochter des Neidlinger „Reformators“ Holpp gehörte auch Johannes (*1617) zu den angesehenen 55 Bürgern im Ort (Stand 1650), die den Wiederaufbau zu organisieren hatten. Aus dem Ortsfamilienbuch Neidlingen, 1596-1900, Seite 305, Nummer 844 erfahren wir wie zur Bestätigung, dass Hanß (*1617) „des Rats“ d.h. Mitglied des Ortsrates war. Somit agierte Hans eingesetzt von der Ortsherrschaft in deren Auftrag, gleichzeitig jedoch als Interessenvertreter und Repräsentant der in Württemberg vergleichsweise stark ausgebildeten dörflichen Genossenschaft. Und so ganz finanziell abgebrannt waren die Gienger wohl auch nicht. Der Ortschronist Drüppel berichtet nämlich, dass ein Hans Gienger – der direkte Vorfahr (*1617) – „keine andere Wahl hatte“ und im Frühjahr 1641 unter vergeblichem Protest die zweimal im Jahr fällige „immense Kriegssteuer von 15 Gulden“ gezahlt hatte. Auch der Hinweis, dass der Schwiegervater bereits Silberleuchter als Bezahlung abgeliefert hatte, führte zu keiner Reduktion der Steuer (S. 154). Auch der Landbesitz (Lehen) muss für den einzigen Überlebenden beträchtlich gewesen sein. Wenn man von dem Erblasser Albrecht (*1682) und den dokumentierten ca. 2 ha Land pro Erbe ausgeht (Realteilung und Inventarbuch Albrecht Gienger 1759) und eine lineare Erbteilung unterstellt, so musste der Erblasser der vorausgehenden Generation Hans (*1646) bei 4 Kindern noch mindestens 8 ha bewirtschaftet haben. Dessen Vater Johannes (*1617), einziger Überlebender des Krieges, vermachte Besitz an 6 Kinder und zwar dieser Rechenlogik folgend jeweils ca. 8 ha Land, d.h. möglicherweise umfasste seine Landwirtschaft über 40 ha. Dabei ist der von den gleichermaßen erbberechtigten bei Heirat eingebrachten Lehenbesitz der Ehefrauen noch gar nicht berrücksichtigt. Ob dies so gerechnet werden kann, sei dahingestellt. Jedenfalls konnte Hans mit einigem Optimismus in die Zukunft schauen, hatte er doch von seinem Vater Alban (*1590) als einziges überlebendes Kind der Familie das Lehen Nummer 50 geerbt und war als reicher Bauer neben seiner Landwirtschaft auch als „Haberthändler“ (Gölz FB) tätig. Und dass er Großvater Anna Marias mütterlicherseits Untervogt zu Kirchheim gewesen war (OSB K 339), dürfte gleichfalls für das Ansehen der Familie Hans Gienger im Dorf durchaus zuträglich gewesen sein. Die Töchter und Söhne wurden standesgemäß mit den Töchtern und Söhnen der bestimmenden Neidlinger Familien Hitzer (Sohn Hans mit Barbara und Tochter Anna Maria mit Hans Hitzer), Heilenmann, Buck, Burckhardt, Kuttroff verheiratet. Nach der politischen wie auch familiären Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges war fast schon wundersam ein wirtschaftlicher wie lokalpolitischer Neustart der Familie durchaus möglich. Da die Linie des 1628 in Hepsisau geborenen und nach Neidlingen eingeheirateten Jakob Gienger (1650 Heirat mit Maria Margaretha Veyhel, Tochter von Caspar Veyhel gewesener Vogtsknecht allhier, Eheregister Bild 111) zu Beginn des 18. Jahrhunderts ausstarb, ist Johannes Gienger *1617 der gemeinsame Vorfahr und Stammvater aller heute noch lebender Neidlinger Gienger sowie vieler mittlerweile auswärtiger oder vor allem nach Amerika ausgewanderter Gienger.
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